Schweiz

Rekordtiefe Obsternte

Ein Artikel von Renate Hodel | 25.10.2021 - 06:18
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Die Frostnächte im April, die Unwetter ab Juni sowie der regnerische Sommer haben die Obstproduzentinnen und Obstproduzenten dieses Jahr stark gefordert. © ji

Die Obsternten fallen je nach Wetter jedes Jahr anders aus und sind sehr individuell. Anhand von Ernteschätzungen wird jeweils versucht abzuschätzen, mit welchen Mengen zu rechnen ist. Der kalte Frühling mit zahlreichen Frostnächten, der regenreiche Sommer und die Unwetter mit Hagelschäden haben unter anderem bei der Sommerfruchtsaison zu einer ernüchternden Bilanz geführt, liess der Schweizer Obstverband (SOV) Anfang Oktober verlauten. Während die Kirschenernte mit rund 1’500 Tonnen und damit 72 Prozent des Fünfjahresmittel noch ansehnlich gewesen sei, zeigte sich bei den Zwetschgen und Aprikosen ein anderes Bild. Die Erträge für Zwetschgen haben laut SOV mit 1’300 Tonnen nur 40 Prozent und für Aprikosen mit 2’200 Tonnen sogar nur 35 Prozent des Fünfjahresmittel betragen.

50 Prozent Zwetschgen importiert

Dieses Bild bestätigt sich in der Fenaco-Obsthalle im luzernischen Sursee. Als Lager- und Aufbereitungsstandort für Äpfel, Birnen und Steinobst aus der Nordwest-, Zentral- und Ostschweiz bildet der Standort eine wichtige nationale Drehscheibe für die Agrargenossenschaft Fenaco. "Beim Steinobst war die Ernte wirklich miserabel", erklärt Roger Käslin von der Obsthalle. Obwohl die meisten Anlagen ihrer Produzentinnen und Produzenten mit Regendächern ausgestattet seien und zum Schutz vor der Kirschessigfliege auch eingenetzt seien, musste dieses Jahr durchschnittlich über 10 Prozent der Ware aussortiert werden. Wegen des nassen Wetters sei zu viel Wasser vom Boden durch die Bäume in die Früchte gelangt, sodass diese aufgeplatzt seien oder zum Teil bereits am Baum zu schimmeln begannen. "Es war wirklich ein ausserordentliches Jahr – bei den Zwetschgen mussten wir 50 Prozent importieren, weil wir schlicht nichts mehr hatten", schildert Roger Käslin die Situation weiter. Immerhin hätten sie die Zwetschgen aus Süddeutschland importieren können, da sei die Akzeptanz bei den Kundinnen und Kunden noch grösser, als wenn die Ware aus Serbien, Bosnien oder von noch weiter herkomme.

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Das Kernobst hat witterungsbedingt dieses Jahr mehr "Fehler" als sonst.  © ji

Kernobst mit Fehlern

Bei der Kernobsternte präsentiere sich die Lage ähnlich. Wegen der schwierigen Wetterbedingungen gebe es bedeutend weniger Kernobst als letztes Jahr und die Lager seien aktuell entsprechend nicht so voll, wie es sich die Obsthalle um diese Zeit gewöhnt sei. Hinzu komme, dass die Früchte sehr viele Frostschäden aufwiesen und darum nicht so perfekt aussehen würden. "Wir haben entweder viel zu kleine oder viel zu grosse Ware", erklärt Roger Käslin. Einerseits habe sich der Frost während der Blütezeit im Frühling negativ auf den Behang der Bäume ausgewirkt. Dies habe zu wenig Früchten geführt, die nun zu gross geraten seien. Oder aber, es gab einen guten Behang, das Wetter sei dann im Sommer aber so schlecht gewesen, dass die Äpfel und Birnen nicht gut wachsen konnten, was zu sehr vielen kleinen Früchte führte. Immerhin seien die Äpfel wegen der zuletzt kalten Herbstnächte nun wunderschön ausgefärbt: "Wir haben dieses Jahr selten Probleme mit der Farbe – das war in anderen Jahren anders", meint Roger Käslin.

Schlechte Jahre verzeihen mehr

Und interessanterweise hätten sie dieses Jahr nicht unbedingt mehr Reklamationen und Beanstandung von Kunden als in anderen Jahren, obwohl die Früchte eigentlich schlechter aussehen würden. "Weil gar keine bessere Ware verfügbar ist, verzeihen unsere Kunden offenbar mehr", mutmasst Roger Käslin. Wer die Wahl habe, sei automatisch wählerischer – wer keine Wahl habe, sei weniger wählerisch.

Schlechtere Jahre würden ausserdem die Verkäufe auf dem Land ankurbeln, erzählt Roger Käslin: "Wir beobachten, dass in guten Tafelobstjahren die Verkäufe auf dem Land nicht so gut sind – wenn es ein schlechtes Obstjahr gibt, steigen sie." Im überaus guten Obstjahr 2018 beispielsweise gab es auf dem Land einfach sonst genug Ware, dass es im Laden deutlich weniger brauchte. Die Verfügbarkeit ist auf dem Land bei voll behangenen Bäumen deutlich und direkter sichtbarer und Nachbarn verschenkten Nachbarn dann auch überschüssiges Obst. In der Stadt sei die Verfügbarkeit weniger ersichtlich, sodass es dort weniger Schwankungen gibt.

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Die Saftpressen sind wieder in Betrieb und in fast jeder Mosterei wird nun wieder Saft aus frischen Äpfeln und Birnen gepresst - vorher muss das Mostobst aber gewaschen werden. © ji

Nur die halbe Mostobsternte

Mit Schwankungen haben auch die Mostobstproduzentinnen und -produzenten sowie die Mostobstverarbeiterinnen und -verarbeiter zu kämpfen. Genau wie in der Tafelobsternte fällt die Mostobsternte dieses Jahr buchstäblich ins Wasser: Auch hier ist die Ernte viel tiefer als in anderen Jahren. Der SOV ging Anfang Oktober davon aus, dass gewerbliche Mostereien dieses Jahr rund 60’000 Tonnen Mostäpfel und rund 6’300 Tonnen Mostbirnen zu verarbeiten hätten – rund 20’000 Tonnen weniger als der Durchschnitt der letzten Jahre. Christoph Suter von der Ramseier Suisse AG glaubt aber nicht, dass diese Menge erreicht wird. Er rechnet, dass bis jetzt rund 25’000 Tonnen bereits angeliefert und verarbeitet wurden. «Wir werden vielleicht 40’000 Tonnen Mostobst erreichen in der Schweiz – das ist nur rund die Hälfte, die es braucht, um den Schweizer Bedarf zu decken», schätzt Christoph Suter. Der Jahresbedarf an Mostobst in der Schweiz liege bei ungefähr 70-80’000 Tonnen.

Branche unter Druck

Meist werde die Problematik einer schlechten Ernte noch verschärft, weil in schlechten Jahren zusätzlich noch weniger Mostobst aufgelesen werde, erklärt Christoph Suter weiter. "Wenn es wenig Mostobst gibt, lesen in vielen Regionen die Bäuerinnen und Bauern ihr Mostobst nicht mehr auf und die Ware kommt nicht in die Mosterei", erzählt er. In einem guten Herbst werde das Mostobst geerntet und gesammelt, weil es sich lohne. In einem schlechten Mostobstjahr, wenn wenig Obst an den Bäumen hänge, lohne die Menge den Aufwand nicht und es gebe eine grosse Anzahl Produzenten, die ihre Ware nicht auflesen würden. Da aber Reserven vorhanden seien, könnten all diese Ernteschwankungen ausgeglichen werden – die Ausschläge von schlechten zu guten Ernten und umgekehrt sei in den letzten Jahrzehnten aber deutlich grösser geworden.

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Zum ersten Mal ist dieses Jahr auch bei Biomostäpfeln ein Rückbehalt festgelegt worden. © ji

Rückbehalt

Als Verarbeiterin habe die Ramseier Suisse AG ausserdem die Herausforderung, die Infrastruktur für die jeweilige Ernte bereitstellen zu können: Gute Erntejahre würden nach höheren Tanklagerkapazitäten und Mostereikapazitäten sowie mehr Personal verlangen. Der Deal sei aber, dass immer alles Mostobst übernommen werde. Hier komme dann der sogenannte Rückbehalt ins Spiel: Den Produzentinnen und Produzenten wird nicht die ganze Ware bezahlt, sondern ein Teil zurückgestellt. Damit werden dann Übermengen ins Ausland exportiert und die Diskrepanz zwischen Schweizer Preis und Exportpreis wird mit dem Rückbehaltsgeld ausgeglichen. Exportieren soll aber nur werden, wenn es Übermengen gibt – der Rückbehalt sei eine Marktentlastungmassnahme, sagt Christoph Suter. Wenn nun die Tanklager vom letzten Jahr noch voll seien und ein Herbst mit hohen Mostobstmengen bevorstehe, setze der Rückbehalt halt bereits bei einer kleinen Erntemenge an und könne dann auch noch gesteigert werden. Die paritätische Kommission, bestehend aus Vertretern von Produktion und Verarbeitung hat den Grundrückbehalt dieses Jahr beispielsweise auf CHF 3.–/100 Kilogramm Mostäpfel festgelegt.

Altlasten

"Leider ist die Branche immer noch daran Altlasten abzubauen", erklärt Christoph Suter. Daher brauche es auch im diesjährigen schlechten Mostobstjahr einen Rückbehalt. Nach der sehr schlechten Ernte 2017 habe die Branche im darauffolgenden Jahr aus emotionalen Gründen den Rückbehalt zu tief angesetzt. "Wir dachten damals, dass wir nach einem so schlechten Jahr den Mostobstproduzentinnnen und -produzenten nicht noch einen grossen Rückbehalt zumuten können, obwohl das Jahr 2018 mit riesigen Mengen aufwartete und grosse Übermengen vorprogrammiert waren", erzählt Christoph Suter. Das führte dazu, dass letztes Jahr Ende Sommer immer noch ein über zweifacher Jahresbedarf an Konzentrat in den Tänken lagerte – die Mostereien hätten eigentlich also überhaupt nicht mosten müssen. Entsprechend sei auch 2020 ein verhältnismässig hoher Rückbehalt festgelegt worden – trotz kleinerer Ernte. "Da wir letztes Jahr einen grossen Rückbehalt eingezogen haben und durch das einen Teil der Übermengen exportieren konnten und nun dieses Jahr eine kleine Ernte erwartet wird, wird dies dazu führen, dass noch einmal Übermengen abgebaut werden können", erklärt Christoph Suter abschliessend. Er gehe davon aus, dass am Ende dieser Saison der Lagerbestand wieder auf einem vernünftigen Niveau sei.

Quelle: www.lid.ch