Klima

Wenn der Frühling (zu) früh kommt

Ein Artikel von Renate Hodel | 21.03.2022 - 10:00

Hasel und Erle standen dieses Jahr wieder früh in Blüte. Bereits seit Anfang Januar registriert das nationale Pollenmessnetz verbreitet Pollen dieser beiden buchenartigen Birkengewächse. Und auch andere Frühlingsboten wie Schneeglöckchen, Krokusse oder Primeln meldeten sich bereits früh aus dem Winterschlaf zurück – lange vor dem offiziellen Frühlingsbeginn. Meteorologisch ist der Frühling nämlich gerade erst gut zwei Wochen alt und für Astronominnen und Astronomen herrscht eigentlich sogar noch Winter: Der astronomische Frühling beginnt erst am 20. März.

Kurzer Winterschlaf

Die Natur eilt den Meteorologinnen und Astronomen allerdings schon seit einiger Zeit voraus. In Genf treiben die Blätter des Rosskastanienreferenzbaumes im Schnitt rund zwei Wochen früher aus als vor 100 Jahren und im baselländischen Liestal blühte der Kirschreferenzbaum 2021 bereits Ende März, während er hundert Jahre zuvor erst um den 20. April aufblühte. Nicht nur die Blüte von Einzelbäumen tritt aber immer früher auf: Ganz grundsätzlich erwachen die Pflanzen schweizweit immer öfter immer früher aus dem Winterschlaf, wie Daten von Meteo Schweiz zeigen. Die Blüte des Haselstrauchs beginnt heute im Schnitt 18 Tage früher als noch vor 70 Jahren – Buschwindröschen blühen im Schnitt 10 Tage früher. Beobachtungen, die beispielsweise auch der Schweizer Obstverband bestätigen kann, wie Verbandssprecherin Beatrice Rüttimann bekräftigt: "In den vergangenen 80 Jahren hat sich beispielsweise das Blühdatum von Kern- und Steinobst um rund 15 Tage nach vorne verschoben – bereits jetzt blühen die ersten Marillenbäume."

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Durch das Gefrieren von Wasser im Zuge einer Frostschutzberegnung wird auf den Pflanzen Wärme freigesetzt, sodass Blätter und Blüten vor Frostschäden bewahrt werden. © ji

Folgen im Obst- und Gemüsebau

Dass der Frühling immer früher kommt, zeigt auch der sogenannte Frühlingsindex von Meteo Schweiz. Seit gut dreissig Jahren beginnt die Vegetationsentwicklung tendenziell früher als üblich – im Vergleich zu Mitte der 1950er-Jahre begann der Frühling in den letzten paar Jahren rund 10 Tage früher als damals. Gleichzeitig beginnt der Herbst immer später und bestimmte biologische Ereignisse wie Blattverfärbungen und Blattfall werden später beobachtet. Unsere Pflanzen blühen also immer früher, die Vegetationsphasen werden länger und die Ruhezeiten für Pflanzen kürzer.

Das hat weitreichende Folgen: Ein immer früher einsetzender Frühling erhöhe beispielsweise das Risiko für Spätfrostschäden, gibt Beatrice Rüttimann zu bedenken. Die Kulturen treiben früher aus und sind, wenn es dann noch einmal bitterkalt wird, nicht mehr genügend geschützt. "Entsprechend wird der Schutz der Kulturen vor Frost immer wichtiger, ist aber derzeit teuer und oft nicht wirksam genug, weil die schützende Wärme beispielsweise durch den Biswind direkt weggetragen wird", erklärt Beatrice Rüttimann.

Erhöhtes Frostrisiko

Auch die Schweizer Gemüseproduzentinnen und -produzenten spüren das veränderte Wetter: "Das Wetter beeinflusst die Arbeit der Gemüsegärtnerinnen und -gärtner allerdings seit je her – sie arbeiten mit der Natur und müssen sich an die Bedingungen anpassen", sagt Markus Waber, stellvertretender Direktor des Schweizer Gemüseproduzentenverbandes. Wenn die Bedingungen gut und die Felder beispielsweise schneefreie und trocken seien, werde in der Gemüseproduktion mit der Bodenbearbeitung und der Aussaat oder dem Pflanzen teilweise früher begonnen. "In der Anfangsphase schützen die Gemüsegärtnerinnen und -gärtner die Kulturen dann mit Vlies oder Tunneln vor der Kälte", erklärt er weiter. Aber auch die Gemüseproduzentinnen und -produzenten hätten bei einem verfrühten Frühling mit einem erhöhten Frostrisiko zu rechnen – bei früh gepflanzten Kulturen sei dies das unternehmerische Risiko. "Bei Dauerkulturen ist das aber schon ein Problem, wobei vor allem die Grünspargeln anfällig auf Schäden sind", erläutert Markus Waber.

Frühlingsindex
Der Frühlingsindex zeigt den Zeitpunkt der Vegetationsentwicklung im Frühling als Abweichung in Tagen vom langjährigen Mittel 1991-2020. Der jährlich ermittelte Index fasst die phänologischen Frühlingsphasen – wie die Blüte und Blattentfaltung des Haselstrauchs, die Blüte des Löwenzahns oder den Nadelaustrieb der Lärche – zusammen. Da die Temperatur für die Entwicklung der Pflanzen ein zentraler Faktor ist, eignet sich der Frühlingsindex als Mass für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation.

Je nach Kultur

Auch für die Obstproduzentinnen und -produzenten kann eine längere Vegetationsphase sowohl positiv als auch negativ sein. Beim Kernobst habe die Vegetationsperiode zum Beispiel keinen Einfluss. Ein früher Erntebeginn sei allerdings nicht für alle Früchte vorteilhaft – beispielsweise bei den Zwetschgen, sagt Beatrice Rüttimann: "Konsumentinnen und Konsumenten kaufen Ende Juli wenig Zwetschgen, da diese für sie Herbstfrüchte sind." Bei Erdbeeren sei der frühe Erntebeginn jedoch ein Vorteil, da die Konsumierenden auf einheimische Erdbeeren warteten. Und auch bei den Kirschen sei ein früher Erntestart positiv, da die Früchte noch vor den Sommerferien in den Verkauf gelangten. Daneben sei eine längere Vegetationsperiode auch bei Himbeeren und Brombeeren vorteilhaft, da sie fortwährend neue Früchte bildeten. "Die Marillen hingegen stehen bei einer frühen Kampagne in Konkurrenz mit den Importaprikosen", ergänzt Beatrice Rüttimann.

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Die kleine, haarlose Schwester der bekannten Kiwi – die Mini-Kiwi – wird noch nicht so lange in Österreich produziert, liegt jedoch im Trend. © lid

Auch Schädlinge erwachen früher

Ein früher Frühling hat aber nicht nur Einfluss auf die Pflanzenwelt, sondern auch auf die Tierwelt. Was aufgrund der symbiotischen Abhängigkeit wiederum Einfluss auf die Pflanzenwelt hat: Beginnt der Frühling früher und die Obstbäume blühen beispielsweise bereits, bevor die Insekten, die sie bestäuben sollten, geschlüpft sind, könnten die Obstbäume fruchtlos bleiben. Und die Entwicklung kann auch in die gegenteilige Richtung gehen: So nehme auch der Schädlingsdruck zu, sagt Pierre-Yves Perrin – vor allem in Jahren mit einem noch zusätzlich warmen Winter. Diese Populationen bildeten, vermehrten und breiteten sich früher aus, bekräftigt auch Markus Waber. "Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft und damit auch den Obstanbau auf eine harte Probe, insbesondere durch das vermehrte Auftreten von bestehenden, aber auch neu auftretenden Krankheiten und Schädlingen", ergänzt Beatrice Rüttimann. Man setze darum grosse Hoffnung in die Aktivitäten der Forschung, damit die zukünftigen Herausforderungen gemeistert werden könnten.

Exotische Kulturen

Gleichzeitig böten der Klimawandel und die warmen Temperaturen auch Chancen. Beispielsweise für den Anbau anderer Kulturen. Beim Getreide könne Soja ein Beispiel sein oder spätere Sorten beim Maisanbau, sagt Pierre-Yves Perrin: "Je nach Jahr und Wetterbedingungen kann es aber gute Resultate geben oder auch nicht", ergänzt er. Und auch im Obstbau nimmt das Potential für neue Kulturen dank des Klimawandels stetig zu: "Beispielsweise wachsen Kiwis mittlerweile sehr gut in der Schweiz, vor allem am Genfersee und es wurden auch schon Versuche mit dem Anbau von Tafeltrauben oder Mandeln durchgeführt", erklärt Beatrice Rüttimann. Allerdings stünden diese Früchte in Konkurrenz zu billig importierten Früchten aus Niedriglohnländern, die oft Monokulturen betreiben würden. Und Markus Waber gibt zu bedenken, dass neue Sorten und Produkte am Markt auch nachgefragt werden und konkurrenzfähig sein müssten.

Quelle: lid.ch